“Es gelingt uns nicht, uns mit Willenskraft von einer verurteilenden Haltung zu befreien.”
– Paul Tournier
Du erwischst dich dabei. Dieser Gedanke über den Kollegen. Das Urteil über die Partnerin. Die scharfe Stimme in deinem Kopf, die bewertet, kritisiert, absegnet oder verwirft.
Und dann kommt der zweite Gedanke: Ich sollte nicht so urteilen. Ich will offener sein, freundlicher, weniger kritisch.
Also versuchst du es. Willenskraft. Zusammenreißen. Bewusst netter denken. Und was passiert? Du verurteilst dich jetzt dafür, dass du verurteilst. Doppelte Portion Selbstkritik. Gratulation.
Tournier hat recht. Mit Anstrengung kommst du hier nicht raus. Je mehr du gegen deine verurteilende Stimme ankämpfst, desto lauter wird sie. Weil Kampf bedeutet: Du hast einen Feind. Und Feinde verurteilt man.
Was wäre, wenn du stattdessen neugierig würdest? Nicht: Wie werde ich das los? Sondern: Was will mir diese Stimme eigentlich sagen? Welche Verletzung, welche Angst, welches unerfüllte Bedürfnis steckt dahinter?
Verurteilung ist oft ein Schutzschild. Wenn du es niederreißen willst, musst du verstehen, wovor es dich beschützt.
Was würde deine verurteilende Stimme dir erzählen, wenn sie nicht mehr kämpfen müsste, sondern einfach gehört werden dürfte?
