Über 35 Jahre Berufserfahrung als Jobcoach haben mir eine zentrale Erkenntnis gebracht: Es geht nicht nur um den perfekten Lebenslauf, das perfekte Vorstellungsgespräch oder die perfekte Suchstrategie. Auch Glück und Zufall können eine Rolle spielen im Prozess der Jobsuche.
Die verborgene Dynamik: Warum der Zufall regiert
Die Auffassung, dass die Bewerbung in weiten Teilen eine Glückssache ist, wird auch von Experten wie Henrik Zaborowski geteilt. Sein kürzlich erschienenes Buch „Absage? Aber ich passe doch perfekt!“ beleuchtet, wie fehleranfällig und unberechenbar Recruiting-Prozesse in vielen Unternehmen sein können. Selbst eine scheinbar perfekte Passung zwischen Bewerberprofil und Stellenanforderung bietet keine Garantie für eine Zusage. Der Prozess ist oft von externen Faktoren und einer Vielzahl subjektiver Entscheidungen durchzogen, die außerhalb unseres direkten Einflussbereichs liegen.
Denken wir mal drüber nach: Bestimmt kennen auch wir jemanden, der „zufällig“ einen Job bekommen hat oder etwas beruflich tut, was mit seiner Ausbildung nichts zu tun hat, einfach nur weil er oder sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort das richtige Gespräch mit der richtigen Person geführt hat. Solche Geschichten sind keine Einzelphänomene, sondern der Kern einer oft übersehenen Realität. Das ist mir in den 70er Jahren passiert, als ich vom Mechaniker, sozusagen über Nacht, zum Ausbildner in einem Warenhauskonzern mutierte.
Ein Großteil der Vakanzen, je nach Studie 70 bis 80 Prozent, wird nicht öffentlich ausgeschrieben. Diesen sogenannten „verdeckten Stellenmarkt“ erreichen wir nicht über konventionelle Bewerbungsportale. Hier spielen informelle Kanäle, persönliche Empfehlungen und – ja, Du ahnst es – die zufällige Begegnung eine entscheidende Rolle. Statistiken belegen, dass bis zu 85 Prozent der Jobangebote über Netzwerke oder persönliche Empfehlungen vermittelt werden. Dies unterstreicht die Relevanz von nicht systematischen Pfaden in der Jobsuche.
Zufall als Karrieremotor
Es geht also nicht darum, dem Zufall passiv ausgeliefert zu sein. Vielmehr gilt es, eine Umgebung zu schaffen, in der „Glück ist, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft“. Selbst persönliche Karrieren, wie die zufällige Entdeckung von Schauspielern oder Models, illustrieren, wie eine unvorhergesehene Begegnung den entscheidenden Impuls geben kann. Das war bei mir auch so. Bei einem Fotoshooting hat mir die Fotografin gesagt, du könntest auch als Fotomodell arbeiten. Das hat mich motiviert, mich bei Casting-Agenturen zu melden. Seit dann habe ich immer wieder mal Anfragen für Werbefilme oder als Statist bei Filmproduktionen. Kürzlich bekam ich sogar meine erste Rolle im Film von Petra Volpe «Heldin».
Das unverzichtbare Fundament: Selbstkenntnis
Bevor Du Dich in den Bewerbungsprozess stürzt, solltest Du Dir klar darüber werden, was Dich wirklich motiviert, welche Kompetenzen Dich auszeichnen und welche Lebensmotive Dein innerer Treiber sind. Siehe LUXX-Profile: https://www.luxxprofile.com/de/master/heinz-leon-wyssling-coaching-entwicklung/heinz-leon-wyssling
Dieses Wissen ist Dein innerer Kompass in einem oft unübersichtlichen Arbeitsmarkt. Ohne eine klare Vorstellung Deiner selbst läufst Du Gefahr, eine Position anzunehmen, die zwar eine schnelle Lösung bietet, Dich aber langfristig nicht erfüllt. Das Assessment mit dem LUXX-Profile wird dir helfen, diesen Werte Kompass zu bekommen.
Nimm Dir diese Zeit zur Reflexion! Eine Jobsuche ist kein kurzfristiger Sprint, sondern eine strategische Phase der beruflichen Neuausrichtung. Der Impuls, schnellstmöglich eine neue Anstellung zu finden, führt oft zu Kompromissen, die sich später als ungünstig erweisen. Eine bewusste und reflektierte Herangehensweise hingegen ermöglicht es Dir, Gelegenheiten zu erkennen, die wirklich zu Dir passen.
Zwischen Vision und Windrichtung: Flexible Ziele im Ungewissen
Nachdem wir unser inneres Fundament gelegt haben, stellt sich die unweigerliche Frage nach den Zielen und es ist absolut richtig, sich Ziele zu setzen. Doch gerade in Phasen beruflicher Neuorientierung, Arbeitslosigkeit oder Unzufriedenheit – und sowieso in unserer unvorhersehbaren (Arbeits-)Welt – ist eine flexible Herangehensweise nötig. Wir sollten uns von unseren Zielen nicht abhängig machen, sondern sie als Orientierungspunkte verstehen, die uns in Bewegung halten, anstatt uns zu fesseln.
Hier helfen uns zwei Konzepte, die diese Balance zwischen Vision und Anpassungsfähigkeit wunderbar illustrieren:
- Polynesisches Segeln: Diese Metapher, geprägt vom Systemtheoretiker Gunther Schmidt, veranschaulicht, wie man mit Ungewissheit und Veränderung umgehen kann. Die alten polynesischen Seefahrer waren Meister der Navigation ohne moderne Instrumente. Ihr Ziel war oft nicht auf einer Karte fixiert; sie wussten eher, dass sie unterwegs neue Möglichkeiten entdecken und ihren Horizont erweitern würden. Polynesisches Segeln steht für die Fähigkeit, auch in unsicheren und stürmischen Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Es geht darum, trotz fehlender Sicherheiten und exakter Ziele orientiert zu bleiben und Krisen bestmöglich zu navigieren. Ziele werden zwar formuliert, aber man macht sich nicht vom Erreichen eines bestimmten Ergebnisses abhängig. Viel wichtiger ist es, flexibel zu bleiben und den Handlungsspielraum zu erweitern, um auf Wind und Strömung zu reagieren und vielleicht sogar unerwartete, wertvolle Inseln zu entdecken, die besser sind als das ursprünglich Angesteuerte.
- Everest-Ziele aus der positiven Psychologie: Dieses Konzept wurde 2012 von Kim Cameron und Emily Plews eingeführt und beschreibt Ziele, die wie ein weit entfernter, inspirierender Horizont wirken. Es geht bei ihnen nicht primär darum, den Gipfel Punkt für Punkt zu erreichen. Vielmehr dient das Streben nach solch einem ambitionierten Ziel dazu, uns in Bewegung zu halten, uns zu entwickeln und uns auf einen Pfad zu bringen, auf dem wir neue Fähigkeiten erwerben und unvorhergesehene Landschaften entdecken. Selbst wenn der „Everest“ nicht exakt bestiegen wird, haben uns die Anstrengung und die Ausrichtung auf das große Ziel an andere, oft ebenso erfüllende oder sogar bessere „Orte“ geführt, als wir sie uns je vorgestellt hätten.
Diese Kombination – flexible Ziele und die Bereitschaft, sich von den Umständen führen zu lassen wie die polynesischen Segler – ist der Schlüssel. Wir wissen, wohin die Reise im Groben gehen soll, aber wir lassen uns nicht von einem starren Plan fesseln, wenn der Zufall uns einen besseren oder zielführenderen Weg weist.
Glück aktiv forcieren: Strategien zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit
Die gute Nachricht ist: Wir können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass uns positive Zufälle begegnen und wir diese erkennen und nutzen können. Es geht darum, eine proaktive Haltung einzunehmen und gezielt Rahmenbedingungen zu schaffen, die zufällige Entdeckung von etwas Neuem und Positivem, nach dem man ursprünglich gar nicht gesucht hat begünstigen:
- Aktionsradius erweitern: Verlassen wir unsere Komfortzone. Besuchen wir Fachveranstaltungen, Branchen-Meet-ups oder Online-Foren. Jedes neue Gespräch, jede unerwartete Begegnung birgt das Potenzial für einen entscheidenden Kontakt. Der Übergang von der formellen Bewerbung zum informellen Austausch ist oft fließend und fruchtbar.
- Zufall kultivieren: Machen wir uns die Strategien zur Förderung von Zufall zu eigen. Hier eine Leseempfehlung: „Erfolgsfaktor Zufall“ von Christian Busch.
- Strategisch und authentisch Kontakte pflegen und knüpfen: Netzwerkpflege ist mehr als das Sammeln von Kontakten. Es geht um den Aufbau echter Beziehungen, den Austausch von Wissen und die gegenseitige Unterstützung. Durch aktive Beteiligung in relevanten Gemeinschaften und den Aufbau eines authentischen Profils erhöhen wir die Sichtbarkeit für potenzielle, auch unerwartete, Gelegenheiten.
- Kontinuierliche Entwicklung und Anpassungsfähigkeit: Der Arbeitsmarkt ist einem ständigen Wandel unterworfen. Bleiben wir lernbereit, erweitern wir unsere Kompetenzen und seien wir offen für neue Technologien und Methoden. Diese fortlaufende persönliche und fachliche Entwicklung macht uns nicht nur attraktiver für potenzielle Arbeitgeber, sondern auch resilienter und empfänglicher für neue Wege, die sich uns vielleicht zufällig auftun.
- Reframing von Rückschlägen: Eine Absage ist selten eine persönliche Ablehnung, sondern oft das Ergebnis komplexer Prozesse oder einer nicht passenden Konstellation. Betrachten wir Rückmeldungen als wertvolle Informationen. Das Reframing negativer Erfahrungen in Lernchancen hilft, die Motivation aufrechtzuerhalten und den Fokus auf zukünftige Möglichkeiten zu lenken. Beispiel: Nehmen wir an, Du hast eine Absage auf eine Bewerbung erhalten und Dein erster Gedanke ist: “Ich wurde abgelehnt.”
Ein Reframing dieses Satzes könnte sein: „Hätte wahrscheinlich eh nicht gepasst. Das ist eine Chance, nach einer noch besseren Möglichkeit zu suchen, die wirklich zu mir passt.”
Fazit: Die Symbiose aus Kontrolle und Offenheit
Die Jobsuche ist zweifellos ein Prozess, der von einer Vielzahl unkontrollierbarer Faktoren beeinflusst wird. Die Erkenntnis, dass Glück und Zufall eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, darf jedoch nicht zu Passivität führen. Im Gegenteil: Sie ermutigt uns dazu, uns von starren Vorstellungen zu lösen und eine aktivere Rolle bei der Gestaltung unserer beruflichen Zukunft einzunehmen. In diesem Sinne: Sei bereit für das Unerwartete – es könnte der Schlüssel zu Deinem nächsten Karriereschritt sein.
Du selbst hast per „Zufall“ oder durch einen Strategiewechsel in Deiner Jobsuche Deinen idealen Job gefunden? Dann freuen wir uns über Deinen Erfahrungsbericht in den Kommentaren.