Ein Plädoyer für emotio­nale Selbst­füh­rung, wenn Orga­ni­sa­tio­nen ins Wanken gera­ten

Je unsi­che­rer die Lage, desto struk­tu­rier­ter der Reflex. Prozesse, Pläne, Zustän­dig­kei­ten. Wenn Orga­ni­sa­tio­nen unter Druck gera­ten, grei­fen sie gern zu dem, was greif­bar scheint: Struk­tur. Und natür­lich brau­chen wir diese Struk­tur. Sie gibt Orien­tie­rung, sie schafft Rahmung. Aber manch­mal, viel­leicht gerade in Krisen, Über­gangs­pha­sen oder kultu­rel­len Kipp­punk­ten, hilft mehr Struk­tur nicht. Sie verschärft das, was sie eigent­lich lösen soll: Orien­tie­rungs­lo­sig­keit.

Denn vieles, was in Orga­ni­sa­tio­nen als “fehlende Klar­heit” erscheint, ist in Wahr­heit nicht ein Mangel an Struk­tur, sondern ein Mangel an emotio­na­ler Verbun­den­heit, an Reso­nanz, an Mut zur Unsi­cher­heit. Hier grei­fen klas­si­sche Inter­ven­tio­nen oft zu kurz. Was gebraucht wird, ist emotio­nale Selbst­füh­rung. Und zwar nicht als indi­vi­du­el­les Coaching-Thema, sondern als syste­mi­scher, kollek­ti­ver Lern­weg.

Wenn Struk­tur kippt: Die vier neuro­bio­lo­gi­schen Grund­mo­tive
Was passiert mit Menschen, wenn in einer Orga­ni­sa­tion Unsi­cher­heit aufkommt? Zur Orien­tie­rung im emotio­na­len Erle­ben beschreibt emTrace® vier moti­va­ti­ons­psy­cho­lo­gisch fundierte Grund­mo­tive, die neuro­bio­lo­gisch veran­kert sind und in heraus­for­dern­den Syste­men beson­ders rele­vant werden:

  1. Durch­set­zung & Einfluss: Menschen wollen wirk­sam sein, gestal­ten dürfen, gehört werden. In insta­bi­len Syste­men kippt dieses Motiv schnell in Macht­spiele, Mikro­ma­nage­ment oder Rück­zug.
  2. Ordnung & Stabi­li­tät: Wenn Prozesse schwan­ken oder Rollen unklar werden, sehnen wir uns nach Struk­tur, Kontrolle und Plan­bar­keit. Dieses Motiv domi­niert beson­ders in Phasen orga­ni­sa­tio­na­ler Neuori­en­tie­rung.
  3. Harmo­nie & Gebor­gen­heit: Wir wollen dazu gehö­ren, nicht ausge­schlos­sen sein. Wenn Teams emotio­nal dysre­gu­liert sind, entste­hen Miss­trauen, Konflikt­scheu oder Schein­har­mo­nie.
  4. Inspi­ra­tion & Leich­tig­keit: Krea­ti­vi­tät, Vision und Entwick­lung brau­chen Offen­heit. Doch unter Druck verlie­ren wir den Zugang zu diesem Grund­be­dürf­nis oft zuerst.

Diese vier Motive wirken in jedem von uns, in jedem Team und in jeder Orga­ni­sa­tion. Und sie gera­ten unter Span­nung, wenn die struk­tu­relle Antwort auf emotio­nale Komple­xi­tät zu eindi­men­sio­nal bleibt.

Was Struk­tu­ren können und was nicht
Struk­tur ist nicht schlecht. Sie schafft Orien­tie­rung, schützt vor Chaos, gibt Form. Aber Struk­tur allein kann keine Emotion regu­lie­ren. Sie ersetzt keine Reso­nanz. Sie kontrol­liert keine Unsi­cher­heit: sie über­spielt sie.

Eine Führungs­kraft kann noch so klar kommu­ni­zie­ren, wenn das Team inner­lich im Flucht­mo­dus ist. Ein Orga­ni­gramm kann Zustän­dig­kei­ten regeln, aber keine Konflikte auflö­sen. Ein KPI kann Leis­tung messen, aber keine Zuge­hö­rig­keit erzeu­gen.

Emotio­nale Selbst­füh­rung heißt, genau das zu erken­nen. Und, syste­misch betrach­tet, heißt sie auch: Führen in Unge­wiss­heit. Nicht auswei­chend, nicht über­struk­tu­riert, sondern mit Haltung.

Was es braucht: Gleich­zei­tig­keit
Die zentrale Kompe­tenz in dyna­mi­schen Orga­ni­sa­tio­nen ist nicht Kontrolle. Sondern Ambi­gui­täts­to­le­ranz. Die Fähig­keit, Unsi­cher­hei­ten zu halten und trotz­dem hand­lungs­fä­hig zu blei­ben. Das gelingt nur, wenn Struk­tur und emotio­nale Intel­li­genz nicht gegen­ein­an­der stehen, sondern sich gegen­sei­tig stüt­zen.
Ein Team braucht Struk­tur. Und es braucht Leich­tig­keit. Es braucht Rollen und Bezie­hung. Es braucht klare Ziele und das gemein­same Aushal­ten von “Ich weiß es gerade auch nicht.”

Emotio­nale Selbst­füh­rung ist der innere Muskel, der genau das trai­niert: Stand­hal­ten, benen­nen, verbin­den, handeln. Und manch­mal heißt das: inne­hal­ten, bevor man struk­tu­riert. Fühlen, bevor man plant. Atmen, bevor man bewer­tet.

Fazit
Manches lässt sich nicht mit mehr Struk­tur begeg­nen. Aber vieles lässt sich mit mehr Verbin­dung tragen. Wenn unsere neuro­bio­lo­gi­schen Grund­mo­tive in Balance sind: wenn wir uns wirk­sam, sicher, zuge­hö­rig und inspi­riert fühlen, steigt unser Wohl­be­fin­den. Und was für uns als Indi­vi­duum gut ist, kann für Orga­ni­sa­tio­nen nicht schlecht sein.
Viel­leicht ist der nächste Schritt nicht mehr Planung. Sondern ein Moment des Inne­hal­tens. Ein ehrli­ches Gespräch. Eine Frage. Und dann erst Struk­tur.