Einleitung: Das verborgene Workload-Management vor Weihnachten
Wenn der Dezember naht, läuft für viele Menschen – und statistisch überwiegend für Mütter – eine unsichtbare Doppelmaschine an: Der Alltag läuft wie immer weiter, während gleichzeitig Weihnachtsfeiern in Schule und Vereinen, Geschenkelisten, Adventskalender, Plätzchen-Aktionen und Familienbesuche hinzukommen. Neben all dem existieren noch die Fahrdienste zu mehreren Orten an Weihnachten – zu unterschiedlichen Großeltern, zwischen getrennten Elternteilen, zu Freunden und Familie. Dazu kommt die mentale und emotionale Last: Die Verantwortung dafür, dass „Weihnachtsmagie” entsteht, dass sich alle wohlfühlen, dass nichts vergessen wird.
Viele Eltern – insbesondere Frauen, aber auch alle, die diese Rolle übernehmen – berichten von Erschöpfung, Gereiztheit und dem Gefühl, selbst völlig unterzugehen. Oft fragen sie sich: „Mit mir stimmt etwas nicht. Andere schaffen das doch auch.” Die Wahrheit ist: Mit dir stimmt nichts nicht. Die Anforderungen sind schlicht zu hoch, und die mentale Last wird in unserer Gesellschaft oft unsichtbar gemacht.
Aus meiner Arbeit als Coach begegne ich immer wieder Eltern, die diese Überlastung als persönliches Versagen interpretieren – statt sie als das zu sehen, was sie ist: ein strukturelles Problem. Der Advent ist nicht grundsätzlich stressig. Stressig wird er, wenn eine Person versucht, all das zu organisieren, was eigentlich auf mehrere Schultern verteilt gehört. Und stressig wird er, wenn Perfektion das Ziel ist, statt Authentizität und „Gut-genug”.
Diese fünf Sofortstrategien helfen dir, den Druck zu senken, deine Energie zu schonen und den Dezember nicht als Krise, sondern wieder als eine Zeit zu erleben, die dir auch etwas geben darf.
Strategie 1: Radikal kürzen statt alles mitnehmen
Die erste und wirkungsvollste Strategie ist eine Entscheidung: Was lässt du stehen?
Schreibe alle Termine und To-dos der nächsten 2–3 Wochen auf – alles, was mit Weihnachten zu tun hat. Dann markiere bewusst mindestens zwei bis drei Aufgaben, die du streichst. Das können sein: eine zusätzliche Weihnachtsfeier, eine Bastelaktion, ein Besuchstermin, eine Aktivität, die „man halt so macht”, bei der aber niemand ernsthaft leiden wird, wenn sie ausfällt.
Das entscheidende Reframe ist: Ersetze im Kopf den Satz „Ich muss” durch „Ich entscheide mich bewusst dafür – oder nicht”. Bei vielen Aufgaben wirst du merken: Ich entscheide mich nicht dafür. Nicht, weil ich faul bin, sondern weil ich meine Kräfte schonen will für das, das mir und meiner Familie wirklich wichtig ist.
Die Frage lautet also: Was ist für UNS als Familie wirklich wichtig – und was machen wir nur, weil man es so macht?
Viele werden überrascht sein, wie wenig die Antwort mit ihren bisherigen To-do-Listen zu tun hat.
Strategie 2: Einfache statt perfekte Lösungen
Perfektion ist der größte Energiefresser im Dezember. Eine gekaufte Weihnachtsplätzchen-Auswahl statt fünf selbst gebackener Sorten. Ein gekaufter Kuchen zur Weihnachtsfeier im Verein. Ein Gutschein statt eines aufwendig recherchierten, perfekt passenden Geschenks. Ein stilles Weihnachtsessen mit einfachen Gerichten statt eines Menüs wie aus einem Lifestylemagazin.
Hier hilft das Konzept der 80-Prozent-Version: Frage dich bei jeder geplanten Aufgabe: „Wie sieht die Version aus, die zu 80 Prozent reicht und für meine Familie völlig ausreichend ist?” Und dann setz genau die um – nicht die 100-Prozent-Perfektion, die dir die Energie kostet.
Das gilt auch für Geschenke, Dekoration, Essensplanung – überall dort, wo man schnell in die Perfektionsfalle tappt. Deine Kinder werden sich nicht an die perfekt geschmückten Räume erinnern, sondern an die Zeit, in der du noch Energie hattest, mit ihnen zu lachen, statt gestresst deine To-do-Liste abzuarbeiten.
Strategie 3: Den Mental Load verteilen
Viel von der Erschöpfung kommt nicht aus den sichtbaren Aufgaben – kochen, einkaufen, fahren – sondern aus der unsichtbaren Organisations- und Planungsarbeit. Du denkst an die Geschenke, die Termine, die fehlenden Weihnachtspullover, die noch gekauft werden müssen. Du hältst all diese Informationen im Kopf, während der Rest der Familie „einfach macht, was gerade anliegt”.
Das ist der Mental Load – und er ist messbar anstrengender als die physischen Aufgaben.
Ein konkretes Werkzeug: Setz dich mit deinem Partner oder den älteren Kindern hin und teilt die Aufgaben explizit auf. Schreibt sie auf (nicht nur im Kopf verabredet – das führt zu Missverständnissen). Beispiel:
- Person A: kümmert sich um Geschenke für die Verwandten, macht die Liste
- Person B: organisiert die Fahrdienste, trägt die Termine in den gemeinsamen Kalender
- Person C: plant die Weihnachtsessen
- usw.
Gleichzeitig: Was kann ganz wegfallen? Wo braucht ihr wirklich gar nicht zu tun?
Das nimmt die psychische Last aus deinem alleinigen Verantwortungsbereich und verteilt sie auf mehrere Menschen. Das ist nicht egoistisch – das ist notwendig.
Strategie 4: Mikro-Pausen und Grenzen im Alltag
Erholung ist nicht erst „zwischen den Jahren” erlaubt, sondern muss mitten im Trubel passieren. Nicht als großes Wellness-Wochenende, sondern als kleine, realistische Inseln.
Baue bewusst 3–5 Minuten pro Tag ein, in denen dein Nervensystem sich regeneriert:
- Tür zu, einmal tief durchatmen, Schultern lockern
- Kurz aus dem Fenster schauen
- Eine Tasse Tee in Ruhe trinken (nicht nebenbei)
- Ein kurzes Lied hören, das dir guttut
Diese Mikro-Pausen sind nicht Luxus, sondern notwendig – ähnlich wie Rennwagen alle paar Runden einen Boxenstopp brauchen.
Zusätzlich: Lege eine feste Zeit fest, ab der nichts Organisatorisches mehr besprochen wird. Beispiel: ab 20 Uhr keine WhatsApp-Gruppen der Schulklasse, keine Planungsgespräche, keine Gedanken an die nächste Liste. Dein Gehirn braucht Ruhezeiten von der Orga-Verantwortung, um nicht völlig zu kollabieren.
Strategie 5: Erwartungen bewusst nach unten kalibrieren
Sprich mit deinen Kindern darüber, was ihnen wirklich wichtig ist. Nicht, was laut Weihnachtskatalog wichtig sein sollte. Die Antworten werden dich oft überraschen: „Ein Filmabend mit dir”, „Dass wir zusammen lachen”, „Zeit mit Oma”.
Passe dann dein Programm daran an – nicht an Instagram oder an dem, was „man halt so macht”. Das bedeutet konkret:
- Einfache Adventskalender mit Zeit statt mit Dingen
- Vielleicht nur zu zwei Weihnachtsfeiern gehen statt zu fünf
- Weniger Besuchstermine, mehr Zeit zu Hause
- Eine gemeinsame Familienfeier statt drei einzelner
Den Satz „Dieses Jahr machen wir es einfacher” darfst du laut aussprechen – und sogar ins Gesetz deiner Familie umwandeln. Das ist nicht mangelnde Liebe. Das ist Selbstschutz und Klugheit.
Meditation: Fünf Minuten Stille im Schnee
Hier ist eine kleine geführte Meditation, die du dir selbst vorlesen kannst oder die du dir aussprechen lässt (z.B. als Audiodatei).
Vorbereitung: Setze dich bequem hin (Stuhl, Sofa), Füße am Boden, Handy auf stumm, wenn möglich Tür zu. Die nächsten fünf Minuten musst du nichts leisten – nur atmen, zuhören und dir eine verschneite Winterlandschaft vorstellen.
Die Meditation (etwa 5 Minuten)
Schließe, wenn es für dich passt, sanft die Augen. Spüre deine Füße auf dem Boden, das Gewicht deines Körpers auf dem Stuhl. Atme einmal tiefer ein durch die Nase … und langsam aus durch den Mund. Lass mit jedem Ausatmen ein kleines bisschen Anspannung los – in Schultern, Gesicht, Bauch.
Stell dir vor, du stehst in einer stillen, verschneiten Winterlandschaft. Frischer, weißer Schnee bedeckt den Boden, die Bäume sind wie mit Puderzucker bestreut. Die Luft ist klar und kühl, aber nicht unangenehm – genau richtig, um deinen Kopf frei zu bekommen.
Mit jedem Atemzug spürst du, wie die kühle, klare Winterluft dich innerlich weiter werden lässt. Unter deinen Füßen fühlt sich der Schnee fest und ruhig an – als würdest du auf etwas ganz Stabilem stehen. Hier draußen gibt es keine To-do-Listen, keine Termine, nur dich und diese stille Landschaft.
Neben dir taucht eine kleine, hölzerne Bank im Schnee auf. Setz dich innerlich dorthin. Nimm wahr, was du im Moment alles trägst: Termine, Verantwortung, Erwartungen, vielleicht auch schlechtes Gewissen. Du musst nichts verändern, nur kurz hinschauen.
Stell dir jetzt vor, du hättest einen Rucksack auf dem Rücken. In ihm liegen all diese Aufgaben und „Ich muss”-Sätze. Atme ein … und während du ausatmest, nimm den Rucksack ab und stelle ihn neben die Bank in den Schnee. Du musst ihn nicht wegwerfen. Aber für diese paar Minuten darf er neben dir stehen, statt auf deinen Schultern.
Mit jedem Atemzug wird dein Rücken etwas freier, dein Nacken weicher, dein Brustkorb weiter. Du hörst vielleicht nur das leise Knirschen des Schnees unter deinen Füßen und spürst eine Ruhe, die nichts von dir verlangt.
Frage dich jetzt in dieser Stille: Welcher Satz würde mir diesen Dezember leichter machen? Vielleicht ist es etwas wie: „Es muss nicht alles perfekt sein”, „Gut genug reicht für uns” oder etwas ganz Eigenes.
Lass einen Satz auftauchen, der sich für dich freundlich anfühlt. Wiederhole ihn innerlich im Rhythmus deines Atems: beim Einatmen nimmst du ihn in dich auf, beim Ausatmen lässt du ihn sich in deinem ganzen Körper ausbreiten.
Nimm jetzt die verschneite Landschaft noch einmal als Ganzes wahr. Wisse, dass du jederzeit innerlich hierher zurückkehren kannst – für ein paar Atemzüge zwischendurch.
Vertiefe deinen Atem etwas. Spür wieder deine Füße auf dem Boden, deinen Körper auf dem Stuhl. Bewege langsam Finger und Zehen, kreise sanft mit den Schultern. Wenn du soweit bist, öffne in deinem eigenen Tempo die Augen.
Abschluss: Eine Einladung
Diese fünf Strategien sind nicht kompliziert – aber sie erfordern eine bewusste Entscheidung: dass deine Kraft und dein Wohlbefinden genauso wichtig sind wie die Weihnachtsprogramme, die To-do-Listen und die Erwartungen aller anderen. Das ist nicht egoistisch. Das ist die Voraussetzung dafür, dass der Dezember für dich und deine Familie tatsächlich schöner wird.
Wenn du merkst, dass diese strukturellen Grenzen und inneren Verschiebungen schwer fallen – weil tief in dir Schuldgefühle oder die Überzeugung sitzen, dass du alles schaffen musst – dann kann Coaching genau da ansetzen. Wir können gemeinsam hinschauen, welche Überzeugungen dich antreiben, wo deine wirklichen Prioritäten liegen, und wie du konkrete, alltagstaugliche Vereinbarungen mit dir selbst und deiner Familie triffst.
Du darfst diesen Dezember leichter machen. Nicht für andere – für dich.
Ursula Drosihn-Brunnbauer, Coach und Rechtsanwältin
Praxis für Coaching und Recht