Was ist eigentlich Coaching? Diese Frage begegnet mir immer wieder – von Freunden, Bekannten, manchmal auch von Menschen, die sich in einer Lebenskrise wiederfinden oder beruflich nicht weiterkommen. Die Antwort ist einfacher und gleichzeitig vielschichtiger, als man zunächst denkt.
Stell dir vor, du stehst vor einem Spiegel. Aber nicht vor einem gewöhnlichen Spiegel, sondern vor einem, der dir nicht nur dein Äußeres zeigt, sondern auch deine verborgenen Möglichkeiten, deine ungenutzten Stärken, deine Träume, die du längst begraben glaubtest. Ein Coach ist genau das – ein lebendiger Spiegel, der dir hilft, dich selbst klarer zu sehen.
Eine offizielle Definition – und was sie bedeutet
Die International Coaching Federation (ICF), der weltweit führende Dachverband für professionelles Coaching, definiert Coaching als
„eine Partnerschaft mit Klienten in einem inspirierenden und kreativen Prozess, der sie dazu anregt, ihr persönliches und berufliches Potenzial zu maximieren.”
Das klingt zunächst sehr formal. Aber was bedeutet das im wirklichen Leben? Es bedeutet, dass da jemand ist, der wirklich zuhört. Der nicht urteilt. Der keine vorgefertigten Lösungen aus der Tasche zieht, sondern dir dabei hilft, deine eigenen Antworten zu finden – Antworten, die schon längst in dir schlummern.
Eine Geschichte vom Tennisplatz
Alles begann in den 1970er Jahren mit einem Mann namens Timothy Gallwey und einem Tennisplatz. Gallwey beobachtete etwas Faszinierendes: Die besten Spieler kämpften nicht nur gegen ihren Gegner, sondern vor allem gegen sich selbst – gegen ihre Zweifel, ihre Ängste, ihre innere Stimme, die ihnen einredete, sie seien nicht gut genug.
In seinem Buch „The Inner Game of Tennis” (deutsch „Tennis — Das innere Spiel”) beschrieb er eine revolutionäre Erkenntnis: Der wahre Gegner sitzt in unserem Kopf. Wenn wir lernen, diese inneren Hindernisse zu überwinden, können wir Fähigkeiten abrufen, die wir bereits besitzen, aber nicht nutzen.
Was auf dem Tennisplatz funktionierte, erwies sich als übertragbar auf alle Lebensbereiche. So entstand das moderne Coaching – nicht als Reparaturdienst für kaputte Menschen, sondern als Methode, um das zu entfalten, was bereits da ist.
Meine eigene Erfahrung: Zwei Coaches, zwei Wege
Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wertvoll Coaching sein kann. Als Geschäftsführer stand ich vor der Herausforderung, ein Unternehmen zu sanieren – eine Zeit voller Druck, schwieriger Entscheidungen und scheinbar unlösbarer Probleme.
Zwei Coaches begleiteten mich durch diese Phase. Der eine war ein ausgebildeter Coach im klassischen Sinne mit entsprechender Zertifizierung und jahrelanger Erfahrung. Er stellte die richtigen Fragen, half mir dabei, meine eigenen Ressourcen zu entdecken und Klarheit in komplexen Situationen zu finden.
Der andere war eher eine Mischung aus Berater, Trainer und Coach – ohne formelle Ausbildung, aber mit enormer Lebenserfahrung und einem intuitiven Gespür für Menschen. Er gab mir manchmal konkrete Ratschläge, teilte seine Erfahrungen mit mir und coachte mich gleichzeitig.
Beide Ansätze halfen mir enorm. Beide waren entscheidende Erfolgsfaktoren bei der Unternehmenssanierung. Das zeigt mir: Coaching ist nicht nur eine Methode – es ist eine Haltung, ein Weg, Menschen zu begegnen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
Was Coaching von anderen Begleitformen unterscheidet
Ein Berater analysiert dein Problem und präsentiert dir Lösungen. Ein Mentor teilt seine Erfahrungen mit dir und zeigt dir Wege, die er selbst gegangen ist. Ein Therapeut hilft dir dabei, seelische Wunden zu heilen.
Ein Coach macht etwas anderes: Er vertraut darauf, dass du bereits alles in dir trägst, was du brauchst. Seine Aufgabe ist es nicht, dich zu reparieren oder zu belehren, sondern dir dabei zu helfen, deine eigenen Antworten zu finden. Er stellt Fragen, die du dir selbst vielleicht nie gestellt hättest. Er hält dir den Spiegel vor und hilft dir dabei, dich selbst zu erkennen.
Der ganze Mensch
Modernes Coaching versteht, dass wir nicht nur denkende Wesen sind. Unser Körper, unsere Emotionen, unser Geist – alles ist miteinander verbunden. Chronischer Stress blockiert nicht nur unser Wohlbefinden, sondern auch unser Denkvermögen. Deshalb fließen in gutes Coaching oft auch Atemtechniken, Achtsamkeitsübungen oder bewusste Erholungspausen ein.
Es geht um Balance – nicht um die perfekte Balance, die es ohnehin nicht gibt, sondern um die lebendige Balance, die sich immer wieder neu findet.
Für wen ist Coaching gedacht?
Coaching ist für Menschen, die bereit sind hinzuschauen – auf sich selbst, auf ihre Situation, auf ihre Möglichkeiten. Es ist für Menschen, die Verantwortung für ihr Leben übernehmen wollen und bereit sind, sich zu bewegen.
Du musst nicht in einer Krise stecken, um Coaching zu nutzen. Manchmal ist es gerade dann am wertvollsten, wenn das Leben gut läuft, aber du spürst, dass da noch mehr möglich ist.
Wichtig ist: Coaching ersetzt keine Therapie. Es ist für psychisch gesunde Menschen gedacht, die wachsen und sich entwickeln möchten.
Was Coaching heute bedeutet
Coaching ist ein Gespräch zwischen zwei Menschen auf Augenhöhe. Es ist ein Raum, in dem du sein darfst, wer du wirklich bist – mit all deinen Stärken und Schwächen, deinen Träumen und Ängsten. Es ist ein Prozess, der darauf vertraut, dass jeder Mensch die Fähigkeit zur Veränderung und zum Wachstum in sich trägt.
In einer Welt, die uns ständig sagt, was wir tun sollen, wie wir sein müssen und welche Ziele wir verfolgen sollten, bietet Coaching etwas Kostbares: einen Raum, in dem deine eigene Stimme wieder hörbar wird.
Quellen
- International Coaching Federation (ICF): coachingfederation.org/about/
- Gallwey, W. Timothy: Tennis — Das innere Spiel: Durch entspannte Konzentration zur Bestleistung — Der Coaching-Weltbestseller jetzt mit Einleitung von Bill Gates
- Gallwey, W. Timothy: The Inner Game of Tennis: The classic guide to the mental side of peak performance