Der Versuch einen fließenden Prozess greifbar zu machen. Erster Teil.

In der Führungs­kräf­te­ent­wick­lung erle­ben wir, dass Menschen sich von Coaching konkrete Leader­ship– oder Manage­ment­tools für ihre indi­vi­du­elle Praxis wünschen. Der Anlass, egal ob Change, Trans­for­ma­tion, Konflikt, oder auch Mental Health im weites­ten Sinn, ist also oft berufs­be­zo­gen. Der Begriff „Business“-Coaching verwun­dert entspre­chend nicht. Im Bereich des „Life“- oder „Personal-“Coachings scheint der Anlass häufig weni­ger konkret, wohl aber mehr­di­men­sio­na­ler wahr­ge­nom­men. Was auch immer Anlass oder Ziel ist, wofür jemand ins Coaching kommt, es geht in profes­sio­nel­lem Coaching doch letzt­lich um echte Wirkung beim Gegen­über. Doch genau das ist schwer zu erklä­ren, bevor wir es nicht selbst erlebt haben. Und bevor die Perso­nal­ab­tei­lung, Part­ner oder Part­ne­rin oder der persön­li­che Leidens­druck Anlass oder Auslö­ser sind, lohnt es sich einen Blick auf das zu werfen, was heute schon Zukunfts­markt des Resi­li­enz-Zeit­al­ters[1] genannt wird.

Too long didn’t read? Bottom line up first!

  • Coaching hat seine Wurzeln in der sokra­ti­schen Gesprächs­kunst der Mäeu­tik
  • Coaching verbin­det alte philo­so­phi­sche & spiri­tu­elle Ansätze mit zeit­ge­mä­ßen wissen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen aus Psycho­lo­gie, Neuro- & Trai­nings­wis­sen­schaf­ten sowie Pädago­gik
  • Coaching als Spar­rings­pro­zess trifft auf aktu­elle Wissens­mo­delle, sowie auf System­theo­rie und Konstruk­ti­vis­mus
  • Coaching kann Beruf, Methode und Führungs­stil sein, sogar Forschungs­ge­gen­stand
  • Coaching bleibt am Ende ein Hand­werk und ist wirk­sam im echten zwischen­mensch­li­chen Kontakt
Key-Words: Coaching, Mental­trai­ning, Thera­pie, Mäeu­tik, Busi­ness-Coaching, Life-Coaching

Coach = Hebamme?

„Ah, du bist also Mental­trai­ner?.“ „Das ist ja schon fast eine Thera­pie!“

Es wie mit Wasser, je doller wir es fest­hal­ten wollen, desto mehr wird es zwischen unse­ren Händen zerrin­nen. Genauso schwie­rig erscheint es oft „Coaching“ greif­bar zu machen, ist es doch letzt­lich keine Sache, sondern ein Prozess, etwas Dyna­mi­sches. Der Begriff Coach (von engl. Coach– Kutsche kommend) birgt zuge­ge­ben auch viele nicht greif­bare Aspekte, die wir uns im Folgen­den konkret anse­hen. Es ist daher nicht verwun­der­lich, wenn wir als „Prozess-Kutscher“ (Coach) von kriti­schen Stim­men gefragt werden, was man denn da genau mache. Diese kriti­schen Stim­men denken meist an den Sport-Coach (Trai­ner), oder den „Coach“ als Spea­ker, Bera­ter oder Trai­ner, der versucht uns zu erklä­ren, wie wir rich­tig leben sollen, um glück­lich, reich und begehrt zu sein…

Dabei reicht das, was wir heute als Coaching bezeich­nen, in seinen Wurzeln weit zurück.

Die zeitlosen Wurzeln von Coaching

„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

– Sokra­tes

Coaching wurzelt in Sokra­tes’ Mäeu­tik („Hebam­men­kunst“) – der Kunst, durch Fragen verbor­gene Erkennt­nisse frei­zu­le­gen, sozu­sa­gen zur Geburt verhel­fen. Im Gegen­satz zu den anti­ken Sophis­ten, die bera­tend und beleh­rend im Mittel­punkt stan­den, setzte Sokra­tes mit seiner beson­de­ren Gesprächs­kunst (Rheto­rik) auf die Entfal­tung von Wirkung im Gegen­über (kompe­tenz­ori­en­tiert). Im Mittel­al­ter prägte die Seel­sorge theo­lo­gi­sche Gesprächs­for­men, bevor die moderne Psycho­lo­gie syste­ma­ti­sche Metho­den lieferte. Heute vereint Coaching Erkennt­nisse aus Philo­so­phie, Neuro- und Trai­nings­wis­sen­schaft sowie Pädago­gik und schlägt damit eine Brücke zwischen anti­ker Weis­heit und zeit­ge­mä­ßer Forschung.

Mäeutik im Coaching – Sokratische Gesprächskunst trifft Systemtheorie

Coaching ist immer noch Hebam­men­kunst für Ideen: Durch präzise Fragen hilft der Coach, dass Klien­ten ihre Lösun­gen selbst „gebä­ren“. Es ist ein ziel- und ressour­cen­ori­en­tier­ter Prozess, der auf Selbst­ver­ant­wor­tung und Eigen­re­fle­xion setzt. Nicht der Coach diktiert (Lehrer, Bera­ter, Trai­ner), sondern er weckt im Klien­ten vorhan­dene Poten­ziale und fördert Klar­heit.

Dies erreicht er oder sie neben den zirku­lie­ren­den und itera­ti­ven Fragen, vor allem durch eine Haltung des Nicht-Wissens und Nicht-Verste­hens, wie es auch Sokra­tes in seinen Fragen gelebt haben soll. Und am Ende wissen wir doch alle nichts (Bezug zum Wissens­mo­dell), oder? Es sollte zu Beschei­den­heit und Verant­wor­tungs­be­wusst­sein des Coaches beitra­gen.

„Wir haben zwei Ohren und einen Mund, damit wir doppelt so viel hören wie spre­chen.“

– Epik­tet

Coaching lebt also vom Akti­ven Zuhö­ren des Coaches, statt reden um sich selbst eine Bühne zu geben. Und das ist in der heuti­gen Zeit fast eine Mangel­ware: jemand der sich Zeit nimmt, aktiv zuhört und nicht vorschnell Tipps und Lösun­gen bieten will, wie wir es in Beruf und Umfeld oft erle­ben. Coaching will viel hören um zu verste­hen und nur spre­chen um Wirkung zu erzie­len. Solche „echten“ Gesprä­che helfen oft schon Glau­bens­sätze oder Annah­men zu zerle­gen, wie wir sie alle ins uns tragen oder weiter konstru­ie­ren.

Damit schaf­fen wir es mit akti­vem Zuhö­ren und einer effek­ti­ven Spra­che oft schon die Grund­lage für das viel­schich­tige syste­mi­sche Entwir­ren von wahr­ge­nom­me­nen Hinder­nis­sen.

Coaching kann ergo einen Beitrag leis­ten „Hinder­nisse auf dem Weg als Weg“ zu sehen, wie es schon Marcus Aure­lius verstand, oder diese gar nicht erst zu ihre vollen Konflikt­po­ten­tial entfal­ten zu lassen. Denn „Über­zeu­gun­gen sind schlim­mere Feinde als Lügen“, wie es Fried­rich Nietz­sche passend dazu formu­lierte.

Doch akti­ves Zuhö­ren und präzi­ses Fragen allein macht wohl Coaching noch nicht aus. Es geht noch viel weiter. Ressour­cen­ak­ti­vie­rung, Lösungs­ori­en­tie­rung, Posi­ti­ves Denken, Ange­bots­cha­rak­ter, soma­ti­sche Marker, Embo­die­ment usw. usf. Die Liste der Ziele und Verfah­ren die, zuge­ge­ben in Coaching und Therapie(n) zur Anwen­dung kommen, über­schnei­den sich häufig. Am Ende ist im Coaching doch aber eine Sache wich­tig, die eigene Bereit­schaft oder der Wille zur Verän­de­rung. Gewis­ser­ma­ßen die innere Faust auf dem Tisch, oder die Neugier auf mehr.

Coaching als Sparringsprozess – Von Sokrates bis Business Coaching

Das ursprüng­lich sokra­ti­sche Gespräch, Ideen und Erkennt­nisse ans Licht zu brin­gen, geht von einem Ansatz aus, dass bereits alles im Gegen­über stecke, und durch den Coach nur noch die nötige Unter­stüt­zung zur „Geburt“ geleis­tet werde. Es verschafft die Erkennt­nisse, die zwar schon in uns liegen, uns mitun­ter aber noch nicht bewusst sind. Das deckt sich bspw. auch mit der aktu­el­len Ansicht der Persön­lich­keits­for­schung (Big Five), wenn sie von einem Modell ausgeht, dass alle Persön­lich­keits­merk­male in allen Menschen vorhan­den sind, aber erst durch die Umwelt unter­schied­lich akti­viert und geformt werden.

Heute hätte Bill Gates wohl Sokra­tes nur zuge­stimmt, wenn er zu der Aussage, „ever­yone needs a coach[2] kommt. Dabei knüp­fen diese Ideen auch an die Rums­feld-Wissens­ma­trix an.[3] 

Demnach gibt es vier Arten von Wissen:

  1. Wissen das wir wissen (Known knowns),
  2. unsere uns bewuss­ten Wissens­lü­cken (Known unknowns),
  3. un- oder vorbe­wuss­tes Wissen, wie Verhal­tens­mus­ter (Unknown knowns), und zuletzt,
  4. das uns unbe­kannte „Unwis­sen“, das uns eben nicht bekannt ist dass wir es nicht wissen, wie Zufälle die wir nicht wissen und beein­flus­sen können (Unknown unknowns).[4]

Know­ledge & Aware­ness. Rums­feld Wissens­ma­trix im Coaching?

Damit können wir zumin­dest fest­hal­ten: für das Aufde­cken von blin­den Flecken, also vor- und unbe­wuss­tem Wissen eignet sich ein Coach, während ein Lehrer oder Trai­ner gut zum Beibrin­gen von Known knowns ist und zum Redu­zie­ren von Unknowns.  Wobei wir uns darüber strei­ten könn­ten ob es auch Wissen gibt, dass wir aktiv nicht wissen wollen[5] oder wir nur daran glau­ben.[6]

Wenn es also im weites­ten Sinn um die Spar­rings­ar­beit zwischen uns als Coachee MIT dem Gegen­über geht, aber letzt­lich über uns (meta-kogni­ti­ves Wissen[7]), kann ein Coach wohl sehr nütz­lich sein. Jeden­falls fordern und ermu­ti­gen zuneh­mend auch Führungs­aka­de­mien einen Coaching-Support für Verant­wor­tungs­trä­ger und Entschei­der, um Reflek­ti­ons­fä­hig­kei­ten zu stär­ken und blinde Flecken zu begren­zen. Aber auch derar­ti­ges Leader­ship-Coaching folgt dabei der Prämisse: Erkennt­nisse über sich selbst erlangt man oft nur durch den Ande­ren. Der oder das Andere[8] als man selbst verhilft oft durch seine „Disso­zi­iert­heit“, also das Nicht-betrof­fen-sein und die bewusste Haltung des Nicht-Wissens und Nicht-Verste­hens zu Erkennt­nis­sen, ob nun im Business– oder Perso­nal-Coaching.

Coaching Anwendungsfelder

Neben dem Beruf als Coach, land­läu­fig oft noch als Bera­ter verstan­den, gibt es noch Coaching als Methode oder als ange­wand­ter Führungs­stil. Letz­te­rer soll durch mehr Fragen & Feed­back zu eigen­ver­ant­wort­li­chem, selbst- und fach­kom­pe­ten­ten Handeln führen, sowie durch weni­ger Anwei­sun­gen Krea­ti­vi­tät, Lösungs­ori­en­tie­rung und stabi­lere zwischen­mensch­li­che Bezie­hun­gen formen. Damit fördert es die Resi­li­enz und Bindung der Mitar­bei­ten­den. So wie es als Führungs­stil funk­tio­nie­ren soll, so kann es auch als Methode gene­rell in zwischen­mensch­li­cher Aktion verwen­det werden. Mehr hören um zu verste­hen und spre­chen, um etwas beizu­tra­gen. Ja das wäre wohl im Alltag oft eine Erleich­te­rung. Aber so wie nicht jede Führungs­kraft immer aus einer bestimm­ten Rolle oder Haltung agie­ren kann, so geht das wohl zwischen­mensch­lich auch nicht. Und sind wir mal ehrlich, wer hat als Führungs­kraft noch on top eine seriöse Coachings­aus­bil­dung, also auch vom Arbeit­ge­ber bezahlt bekom­men? Oder wer ist im Alltag so gut ausge­bil­det oder bewan­dert, dass man immer die Rich­tige Haltung trifft? Genau, die aller Wenigs­ten. Und viel­leicht ist das auch gut so? Einer­seits braucht es das ja auch nicht immer. Ande­rer­seits ist es sinn­voll, profes­sio­nelle Coaching-Ausbil­dung, für alle Themen des präkli­ni­schen menta­len Supports, wie auch immer der sich als Anlass äußert, in guten Händen zu wissen – Coaches, die dies als Beruf ausüben.

Coaching in Entwicklung: Fachlichkeitsdebatten

Apro­pos Profes­sio­na­li­sie­rung und Fach­lich­keit. Coaching wird regel­mä­ßig kriti­siert, es fehle an Fach­lich­keit, teil­weise gepaart mit über­trie­be­ner Forde­rung nach Wissen und Erfah­run­gen der Coaches, leider auch seitens einschlä­gi­ger Fach­ma­ga­zine. Aber, wir erin­nern uns daran, dass Coaching im Wesent­li­chen im zwischen­mensch­li­chen Kontakt wirk­sam wird. Bei spezi­el­len Themen mag Fach­lich­keit ein Door Opener sein, oder der bran­chen­spe­zi­fi­sche „Stall­ge­ruch“ Serio­si­tät und Vertrauen als Funda­ment schaf­fen. Doch was sagt das über die Wirk­sam­keit im Kontakt aus? Als geschicht­lich Inter­es­sier­ter könnte man bspw. an Alex­an­der den Großen denken. Es ist bekannt, dass er mit Aris­to­te­les, einen heraus­ra­gen­den menta­len Support der dama­li­gen Zeit hatte. Nun, er aber hatte keinen Mentor/ Coach der bereits selbst Welt­erobe­rer war. Also einen Aris­to­te­les, der ihm fach­lich konkret seine Erfah­run­gen mittei­len konnte, was zu tun sei. Viel­mehr bestach er wohl durch seine Frage­tech­ni­ken und seine Haltung. Coaching-fach­lich gese­hen, also am Ende doch nur alter Wein in neuen Schläu­chen?

Doch was ist mit der Eingangs­frage? Im zwei­ten Teil des Arti­kels Coaching — Zwischen Mental­trai­ning und Thera­pie? sehen wir auf Abgren­zun­gen, Schnitt­men­gen und Anwen­dungs­fel­der sowie aktu­elle Trends im Coaching.

Verweise

[1] Vgl. Rifkins, Jeremy: Das Zeit­al­ter der Resi­li­enz. 2022.

[2] Vgl. Bill Gates und Eric Schmidt bei TED „Ever­yone needs a coach“ Bill Gates & Eric Schmidt

[3] Diese Unter­schei­dung des Wissens geht auf eine Pres­se­kon­fe­renz aus dem Jahr 2002 zurück, sowie auf sein Buch: Known and Unknown: A Memoir.

[4] Vgl.: RUMSFELD / KNOWNS, Ange­lehnt ist diese Matrix an das Bekannte Johari-Window als Instru­ment zur Visua­li­sie­rung von Selbst- und Fremd­wahr­neh­mung.

[5] Der slowe­ni­sche Philo­soph Slavoj Žižek und (ehem.) Direk­tor des Birk­beck Insti­tute for the Huma­ni­ties in London fordert eine weitere Kate­go­rie, nämlich das Wissen, das wenn wir es einmal wissen, wir uns weigern es anzu­neh­men.

[6] Wissen kann man schließ­lich nicht wirk­lich wissen, sondern nur daran glau­ben, wie es Dr. Zippel in seiner Disser­ta­tion Rosen­rot oder die Illu­sion der Wirk­lich­keit spie­le­risch darlegt.

[7] nach Ander­son & Krath­wohl

[8] Es geht darum, wie man sich selbst durch die Bezie­hung zu ande­ren versteht, beispiels­weise durch Feed­back von ande­ren Menschen, die als Spie­gel dienen. Das Konzept kann auch im kultu­rel­len Kontext unter­sucht werden, da das Verständ­nis des „Ande­ren“ oft mit der Selbst­er­kennt­nis einher­geht und Einbli­cke in die eigene Iden­ti­tät ermög­licht.